Schiff Ahoi  
Opas 70. Geburtstag

 
Gleich zu Beginn, unser Opa ist kein Seemann und was Schiffe und die Seefahrt betrifft, hat er damit auch nicht die allerbesten Erfahrungen. Vor Jahren machte er zusammen mit Oma eine "Butterfahrt" auf der Nordsee. Zufällig war auch ein sangesfreudiger Shanty-Chor an Bord. Die nicht allzu starke Dünung muss ihm trotz oder auch wegen der teils traurigen Seemannslieder gründlich in die Knochen gefahren sein. Denn später erzählte er von hohen Wellenbergen, wobei er bei der Schaukelei standhaft geblieben sei und die Oma dauernd festhalten musste, damit sie nicht über Bord ging. Die Oma hat die Fahrt allerdings ganz anders herum im Gedächtnis, zwar mit Shanty-Chor, aber ohne Wellenberge. Wohl wegen der damaligen Fahrt kam der Opa beim Feiern im "richtigen Moment" wieder in jenes Fahrwasser. Aber davon später mehr.

Nur noch zwei andere Personen spielen in der nun folgenden Familienposse eine wichtige Rolle. Dabei ist zuerst die Oma zu erwähnen. Sie hat den Opa normalerweise ganz gut im Griff, doch hier entwischte er ihr eine kurze Zeit lang. Für diesen Zwischenfall war nun Tante Lucie der eigentliche Auslöser. Sie ist bekannt als eine liebenswürdige Frau mit beneidenswerter Figur. Ihr richtiges Alter weiss niemand ganz genau und es steht immer wieder im Mittelpunkt von familiären Quizrunden, genau so wie ihr Stammbaum. Was sie allen anderen neben ihrem gleichbleibenden Alter und der Figur voraus hat, ist eine schöne dunkle Stimme und die Lust zu singen. Nun damit fing Tante Lucie äusserst motiviert nach der Kaffee- und Getränkerunde an. Alle Gäste sassen in bunter Runde im Zimmer mit dem Geburtstagskind in der Mitte.

Tante Lucie begann mit einigen älteren frechen Songs. Dann gab sie den 2. Blusenknopf frei und wechselte zu französischen Chansons. Opa verstand zwar die Texte nicht, doch wenn ihm Tante Lucie bei dem Wort l´amour - und es kam ziemlich oft vor - ziemlich nahe kam, bekam er leichtes Herzklopfen. Alle waren begeistert, besonders der bezirzte Opa.

Tante Lucie wusste von Opas Werdegang als Seemann und kam deshalb nun zu ihrem dritten Programmpunkt "Shanties". Da ihre eigene Stimmung inzwischen auch entsprechend zugenommen hatte, machte sie auf "verrucht", mit entsprechender Mimik und Gestik. Dazu knöpfte sie noch den 3. Blusenknopf langsam auf. Erst sang sie "Seemann, deine Heimat ist das Meer", dann "Blaue Nacht, oh blaue Nacht" und "Seemann, lass das Träumen". Opa wurde immer unruhiger und sah in dem, was Lucie ihm öfters sehr nahe brachte, das wogende Meer. Oma konnte mit den Shanties nicht viel anfangen und da ihr Blickwinkel etwas ungünstig war, liess sie Tante Lucie gewähren. Opa war innerlich schon auf hoher See, da hörte er folgendes traurige Seemannslied:
 
  Sing´ ein Lied für den Ozean, sing´ ein Lied übers Meer.
  Und ich singe ein Lied für Dich, wird das Herz mir auch schwer.
  So viele Tage und so viele Stürme müssen vergehn,
  Doch wir werden uns wiedersehn.
 
Jetzt wäre es für Oma gerade noch Zeit gewesen, den Opa aus "Seenot" zu retten. Doch Tante Lucie sang als letzte Zugabe - gleichzeitig mit Stimme und ihren vollen Reizen - "Lilli Marleen" dem Opa in die Augen und ins Ohr. Sein Inneres bäumte sich dabei noch kurz auf und er rief laut "Schiff ahoi", dann fiel der Geehrte in Ohnmacht. Oma brachte nur ihren Standardspruch heraus: "Opa, was machst du denn für Sachen !". Doch Tante Lucie hatte, wie immer, alles im Griff. Nachdem Opa flach lag, begann sie mit Mund-zu-Mund-Beatmung. Gleichzeitig bekam Opa durch ihren Oberkörper eine Herzmassage. Das brachte den alten Herrn schnell wieder zur Besinnung, und sogar mehr als das. Da ihm die Doppel-Behandlung gefiel, stellte er sich weiter tot. Dabei machte er einen großen Fehler, er zuckte mit den Augen und grinste. Das bekam die Oma leider mit und sie begann eine weniger angenehme verbale Behandlung. Nach einigem Wortwechsel schlossen Oma und Opa jedoch wieder Frieden miteinander und das Fest nahm einen guten Fortgang. Was Tante Lucie betraf, hatte sie ihrem Ruf wieder einmal alle Ehre gemacht.
 

©  pebru